Brief an die Mutter - Geschichtsverein RAK e.V.Königswartha

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Brief an die Mutter

Nachstehend lesen Sie einen sehr berührenden Brief, den Frau Luise Merla geb. Schröder, im April und Mai 1945 an ihre Mutter, Else Schröder, geschrieben hat. Dieser Brief wurde uns von Herrn Steffen Kappler, Rechtsanwalt in Luckenwalde, Enkelsohn von Frau Luise Merla, freundlicherweise - auch zur Veröffentlichung in unserem Amtsblatt – übergeben.  Dieser Brief zeigt einmal mehr die Grausamkeit des Krieges, das unsägliche Leiden der betroffenen Zivilbevölkerung und die enthemmte Vorgehensweise einiger Soldaten.

Hier ein Auszug aus dem Original

Hier der Brief ungekürzt

23.04.1945
Meine liebe gute Muttel!
Hoffentlich kommen diese Zeilen noch einmal in deine Hände. Wir sind Sonntag den 22. wieder nach Hause gekommen. Durch die Sprengung der Muna war unsere Wohnung nicht bewohnbar. Wir sind am Sonntagabend mit ungefähr 20 Personen des Rittergutes in deine Wohnung. Haben alle in der Werkstelle übernachtet. Die Nacht war tüchtiger Beschuss, aber wir leben alle. Heute nun, Nachmittag 17 Uhr, also um 5, führte ein Mann aus dem Ort die Russen hierher und sie holten mir meinen lieben Mann ab. Er soll nur auf dem Markt Fragen beantworten und in einer halben Stunde wieder bei uns sein. Ich glaube es aber nicht.
Also bin ich mit meinen Kindern allein. Zum Essen haben wir nicht viel aber an Kartoffeln können wir
uns sättigen. Auch von deinem Kompott werden wir essen, was die Plünderer, die vor uns da waren, noch gelassen haben. Das Herz ist mir furchtbar schwer, aber ich behalte den Kopf trotzdem oben. Nur um dich, mein liebes Muttel, sorge ich mich sehr, hoffentlich überstehst du die Strapazen der Flucht gut, möge es dir vergönnt sein, noch einen ruhigen Lebensabend in deinem Häuschen zu verleben. Hoffentlich sehen auch Nawroth‘s ihre Heimat wieder. Wenn wir uns nicht wiedersehen sollten, so möchte ich dir an dieser Stelle recht herzlich danken für das große Maß deiner großen Liebe, die du mir immer entgegenbrachtest.
Wenn ich dir Kummer bereitet habe, so verzeih mir bitte! Es ist ¾ 6, eben war Karl noch mal da, aber unter militärischer Bewachung, russischer.
Die versprachen meinem Mann nichts zu tun, aber ich hab wenig Hoffnung.
24.4. Muss mit Blei schreiben, diese Nacht fanden die Russen auch meinen Füller mitnahmenswert. Nun will ich zurückgreifen und weiter erzählen. Karl kam gestern nicht wieder, habe gewartet am Fenster bis es dunkel war. Um 9 hab ich erst zugeschlossen. Für die Kinder und mich hatte ich in deiner Wohnstube zum Schlafen zurecht gemacht. Herr Dietrich war mit Frau und Kind oben in Mariannes Wohnzimmer. Er wollte mit seiner Familie freiwillig aus dem Leben gehen, der Abschiedsbrief an Sasker‘s ist in meiner Handtasche. Ich sollte ihm das Signal geben, wenn die Russen im Haus waren. Dietrich‘s blieben aber und ich war mit meinen 3 Kindern dem Schicksal preisgegeben. Meinen Seelenzustand erlass mir zu schildern, das Herz schlug wie rasant, aber freiwillig wollte ich mit den Kindern nicht aus dem Leben gehen, weil ich auch an Günter und dich, mein liebes Muttel, dachte. An meinen geliebten Mann muss ich alle Gedanken ausschalten um mich überhaupt auf den Beinen zu halten. Die Nacht so allein mit den Kindern war grässlich. Zweimal musste ich im dunklen schnell laufen und aufschließen, sonst hätten sie mir die Haustür eingeschlagen. Die ersten Zwei wollten Schnaps oder Wein haben. Ich hatte nichts und da trank einer Zeug, das ich ihm mit Wasser verdünnen musste. Es roch wie Treibstoff vom Motorrad und wird’s wohl auch gewesen sein. Die anderen 3 die dann kamen, wollten auch zu rauchen und zu trinken. Hielten sich aber glücklicherweise nicht zu lange auf, aber auch eine halbe Stunde kann zur Qual werden. Diese Nacht war furchtbar, draußen hörte ich immer Schreien und Schießen, dann wieder jemand am Tor, dann Schlagen mit dem Gewehrkolben an der Ladentür. Ich merkte, wie mir immer die Sinne schwinden wollten, aber ich wollte für meine Kinder wachen und stark bleiben. Es ging doch über meine Kraft und weil ich fürchtete von dieser Aufregung und Angst zu sterben, fasste ich einen Entschluss. Sobald es Tag würde, wollte ich zu Buhl‘s und dort um Aufnahme mit meinen Kindern betteln. Um 6 Uhr früh schlich ich mich hin und es glückte, ich durfte dort bleiben. Ich holte meine Kinder hin, etliche Betten, von dir ein altes Kleid für mich, deine Strickjacke und Weste und etwas Eingelegtes. Ich war jedes Mal froh, wenn ich wieder bei Buhl‘s war. Viel Platz war dort nicht für uns, wir sollten auf dem Fußboden liegen, aber wie froh war ich trotzdem. Nun kamen ununterbrochen Russen. Einer, zwei, drei oder vier auf einmal, jeder suchte und zerwühlte alles, es war schrecklich. Jeder wollte eine Armbanduhr oder Schmuck und drohte mit Erschießen, wenn er‘s nicht bekam. Ich wurde gleich am Donnerstag abends, den Tag den wir von daheim weg sind, von Russen überfallen, bei Naußlitz, die haben mir meinen Wecker, die Uhr und Ringe abgenommen und uns durch Schreckschüsse eingeschüchtert und wir dachten schon, dass unser letztes Stündchen gekommen wäre.
Bei Buhl‘s haben wir Dienstag zu Mittag gegessen, Pellkartoffeln mit Salz und ein wenig Fett. Danach Kompott von dir. Auf einmal kamen Flieger und warfen Bomben auf Königswartha. Kurz darauf kamen Russen und forderten uns auf, sofort das Dorf zu verlassen. Niemand sollte viel mitnehmen. Schnell, schnell sollte es gehen, die Russen jagten uns, wir sollten schnell fort, 2 – 3 km, mit „Hier bumbum machen“.
Schnell knotete ich 3 Kopfkissen und 1 Brot in eine Decke und fort ging es wieder. Es war am 24.4., 3 Uhr Nachmittag. Buhl‘es rafften auch nur weniges und nun ging es wieder ins Ungewisse mit so wenigem in den Händen. Alles jagte und rannte, manche hatten einen Handwagen, viel hatte niemand, es ging an die Teiche, auf einmal hieß es, dort kommt doch Herr Merla. Ich glaubte nicht recht gehört zu haben und wagte kaum zu kucken. Ja, unser lieber Papa kam uns wirklich nach. Schreck und Freude kann ich dir nicht schildern, er war bei uns und aller Jammer und Not schien uns leichter zu tragen.
Karl kam aus Wittichenau, wo sie ihn hingefahren hatten zur Vernehmung. Die Behandlung dort war nicht schlecht, auch Essen gab es dort.
Wir haben uns nun auf den Teichen Schilfhütten gebaut und die Nacht darin geschlafen. Viele von Königswartha waren dort. Früh kochten die Leute sich auf Feuern Kaffee und ich habe mir eine Tasse für uns fünf gebettelt, dass jeder einen Schluck Warmes hatte, dazu gab es Trockenbrot. Die Nacht war tüchtig kalt und wir hatten zum Zudecken für 5 Mann nur 3 Kissen und 1 Decke.
Viel wurde geschossen in unserer Nähe, die Flieger konnten wir auch über K. beobachten, Luftkämpfe und Bombenabwürfe. Die Russen waren auch immer um uns rum. Plötzlich kam wieder Befehl, dass wir weiter müssen. Wir hatten ja nicht viel zu packen und zu tragen. Nach großem Hin und Her langten wir Mittwoch Vormittag in Commerau an. Wir wollten weiter, aber jeder wollte ein Brot von Nakonz‘es haben. Soviel war nicht da, aber sie wollten gleich backen. Also blieben wir erstmal dort. Ich sollte mit den Kindern bei Nakonz‘es bleiben, bis auch sie Räumungsbefehl bekamen. Ich war sehr froh, aber schon kam wieder das Pack. Alles wurde wieder durchsucht und weil Karl keine Papiere hatte nahmen sie ihn wieder mit. Er sollte gleich wieder kommen. Ich bin mit den Kindern zu Pelch‘s, denn bei Nakonz‘es waren so viel Menschen. Hier bin ich sehr gut aufgehoben. Habe ein Zimmer mit 2 Betten u. volle u. gute Kost. Frau Nakonz ist auch da und hat mir schon mit so vielem ausgeholfen. Wir haben von ihr wieder einen Kamm, Seife, Handtücher, Taschentücher, Strümpfe und sogar 2 Kleider für mich, u. viel anderes habe ich bekommen. Heut ist nun Donnerstag der 29.4., Karl ist immer noch nicht bei uns. 3-mal schon war ich bei den Russen auf der Kommandantur. Die sagten er komme wieder, er soll erst Papiere bekommen, ob es wahr ist? Von früh bis abends warte ich nun. Wenn wir nur von hier nicht wieder fort müssen.
Heute wurde schon gesagt, das Commerau auch geräumt werden muss. Gestern kamen auch Vater und Emma hier an u. die guten Pelch’s gewährten auch ihnen Unterkunft u. Verpflegung. Das können wir diesen guten Menschen in unserem ganzen Leben nie vergelten, das kann nur Gott. Die Zustände sind auch hier schrecklich. Dauernd kommen Russen, sie plündern u. räubern. 1 Schaf und 4 Schweine haben sie bis heut schon geholt u. vieles andere nahmen sie mit. Wie soll das noch enden? Das Schießen ist oft unerträglich aber sogar daran gewöhnt man sich.
Caminau und Truppen ist auch mit hier. Gestern traf ich auch wieder Goltz‘es, Gocht‘s und Michauk‘s, alles findet sich wieder, nur von dir mein liebes Muttel, fehlt jede Spur.
Heut ist nun schon Freitag der 4. Mai, Karl ist immer noch nicht da und wo er ist weiß ich trotz aller Bemühung nicht. Wir sind noch bei Pelch‘s u. haben sehr gutes Essen, aber was wir täglich sehen und erleben müssen ist grässlich. Wie lange muss das noch ertragen werden?
Sonntag, der 6. Mai 1945
Nichts hat sich an der Lage geändert, von Karl weiß ich noch nichts. Jeden Tag das gleiche von Angst und Sorge. Vor jedem Tag hat man Angst, was er wohl bringen wird u. nachts kann man nicht schlafen, so lang ist mir noch keine Nacht gewesen wie jetzt, die Sorgen lassen nicht schlafen. Ich habe es ja gut getroffen bei Pelch’s, das Essen ist gut u. reichlich aber wie lange wird es noch langen? Jeden Tag kommen die Plünderer und am schlimmsten treiben es die Polen. Jeder sucht u. nimmt mit was er will, sei es Vieh, Lebensmittel oder Kleidung.

Königswartha - Unsere Flucht!
An einem Donnerstag, es war der 19.4.1945, begann unsere Flucht. Wir sollten mit dem Rittergut fahren. Kinder, Alte und Kranke u. die nicht mit dem Rad fahren konnten wurden auf Lastautos und Anhänger verladen. Ich fuhr mit dem Rad und auch Karl Heinz wollte es, aber dann entschloss er sich doch mit Helga und Dieter, u. Sonntag, 22. Mittag, wieder heim,
Sonntag Abend zur Muttel ins Haus, Montag, 23., Karl das erste Mal geholt, Dienstag 24, früh, zu Buhl’s, Dienstag Nachm. ½ 3 wieder aus K. in Eile rausgetrieben, konnten nur 1 Decke u. 3 Kopfkissen mitnehmen, am Teich Karl getroffen. Eine Nacht am Teich geschlafen.
Mittwoch 25., Mittag nach Commerau. Karl gleich wieder fort. Mittwoch, 9. Mai, mit Schwester Link das erste Mal wieder in Königswartha. 10. Mai wieder in Königswartha,
12. Mai, Sonnabend bin ich mit Hab und Gut wieder in Omas Häusel gelandet.    - Ende –
Wir danken Herrn Steffen Kappler auch an dieser Stelle ganz herzlich für dieses berührende, aussagekräftige Dokument.
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